„Fataleres Signal in der Klimakrise kaum vorstellbar“
Die EU-Kommission will Atomkraft und Gas als nachhaltig einstufen. Bis zum kommenden Freitag, 21. Januar, hat die Bundesregierung Zeit, sich zu dieser Regelung zu positionieren.(1) Die Klimaliste Deutschland fordert von der Ampelkoalition, sich in Worten und Taten klar gegen diese neue Taxonomie zu wenden.
Die Konsequenzen des Förderns und Verbrennens von Erdgas auf den fortschreitenden Klimawandel sind nahezu identisch mit den Folgen bei Erdöl oder Benzin.(2) Zumal die unkontrollierte Freisetzung des extrem klimaschädlichen Methan im Falle der Gasförderung lange unterschätzt wurde. Sämtliche Vorstellungen von nachhaltigem Wirtschaften und generationengerechtem Klimaschutz werden durch die Neuregelung ad absurdum geführt. „Ein fataleres Signal mitten in der Klimakrise ist kaum vorstellbar“, sagt Alexander Grevel, Vorstandsmitglied der Klimaliste Deutschland.
Die Bedeutung der Einstufung ist enorm. Denn mit dem Klassifizierungssystem regelt die EU, welche Finanzanlagen künftig als nachhaltig gelten. Damit werden Finanzströme und Investitionen entscheidend beeinflusst. „Das Geld muss in nachhaltigen, wirksamen Klimaschutz fließen, also etwa in den Ausbau erneuerbarer Energien“, sagt Klimalisten-Vorstandsmitglied Dr. Doris Vollmer. „Fossile Energien wie Gas müssen ebenso Auslaufmodelle sein wie die unsichere Atomkraft, die für Katastrophen wie Tschernobyl und Fukushima verantwortlich ist. Hier Geld hineinzustecken, das für Windkraft und Photovoltaik benötigt wird, ist absolut kontraproduktiv.“
Klagen sind angekündigt
Österreich(3) und Luxemburg(4) haben Klagen gegen den am 31. Dezember 2021 von der EU-Kommission vorgelegten Delegierten Rechtsakt angekündigt, mit dem die Taxonomie umgesetzt werden soll. „Wir fordern die Bundesregierung auf, sich diesem Vorgehen anzuschließen. Atomkraft und Gas als nachhaltige Energieträger einzustufen, widerspricht komplett allen Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen“, urteilt Klimalisten-Vorstand Alexander Grevel.
13 Umwelt- und Klimaverbände haben bei der Bundesregierung mit einem offenen Brief protestiert: „Bitte stoppen Sie die Aufnahme von Atom und Erdgas in die EU-Taxonomie!“(5) Sie begrüßen, dass die Bundesregierung am Atomausstieg festhält und sich dagegen ausgesprochen hat, Atomenergie in die Taxonomie aufzunehmen. Es brauche allerdings eine „ebenso konsequente Ablehnung von Erdgas“. Die Klimaliste Deutschland unterstützt diese Forderung mit Nachdruck und beruft sich dabei auf wissenschaftliche Erkenntnisse.
„Erdgas beschleunigt den Klimawandel“
Die Studie der Energy Watch Group kam 2019 zum Ergebnis: „Erdgas beschleunigt den Klimawandel durch alarmierende Methanemissionen.“(2) Der Bremer Umweltphysiker John Burrows hat Förderstellen an verschiedenen Standorten in Amerika untersucht und warnt:
„Methan hat 25 Mal größeres Treibhauspotential als Kohlendioxid, infolgedessen ist eine Leckage von ungefähr zwei bis drei Prozent Erdgas ausreichend, um jeglichen Vorteil der Verbrennung von Erdgas zu beseitigen.“(2)
Methan hat 25 Mal größeres Treibhauspotential als Kohlendioxid
Im Bericht der IPCC wird Methan auf einer Zeitskala von 20 Jahren sogar ein über 70-fach höheres Treibhauspotential(6) zugeschrieben. In den kommenden 20 Jahren entscheidet sich maßgeblich, wie viele Klima-Kipppunkte wir überschreiten.
Vernichtend fällt auch das Urteil der Umweltverbände zur Gasproduktion aus:
„Fossiles Gas ist keinesfalls ein nachhaltiger Energieträger, denn entlang seiner Förder-, Transport- und Nutzungskette werden große Mengen an klima-schädlichen Treibhausgasen ausgestoßen.“(5)
Erdgas als „grünes Gas“ zu bezeichnen, ist nach Ansicht der Klimaliste Deutschland „nichts anderes als Greenwashing“, sagt Alexander Grevel. Die Bundesregierung muss daher von der EU-Kommission am Freitag fordern, ihren Klassifizierungs-Vorschlag zu überarbeiten. Sollte dies nicht durchsetzbar sein, muss eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof folgen. Schließlich ist schon in der EU-Verordnung festgeschrieben, die Taxonomie solle wissenschaftsbasiert und frei von Lobbyinteressen sein.
„Nicht wissenschaftlich und auch nicht produktiv“
Wissenschaftler:innen wie Sebastian Rink von der Frankfurt School of Finance sind daher bitter enttäuscht von dem vorgelegten Entwurf. „Dieser Entwurf ist nicht wissenschaftlich und auch nicht produktiv, was die weitere Entwicklung der Taxonomie angeht“, sagte Rink gegenüber tagesschau.de.(7) Andreas Hoepner, Professor für nachhaltige Finanzen an der Universität Dublin, spricht sogar vom „größten Greenwashing“ aller Zeiten.(7) Die Empfehlungen der von der EU-Kommission eingesetzten Expert:innengruppe seien zu „null Prozent“ berücksichtigt worden. Stattdessen sei zugelassen worden, dass Energielobbyisten den Prozess beeinflussten. Mit 1,4 Milliarden Euro wurde allein in Deutschland klimaschädliches Erdgas subventioniert(2).
„Der Lobbyismus der Energiewirtschaft zeigt sich hier in seiner erschreckendsten Form“, sagt Lara Baumanns von der Klimaliste Deutschland. Die Bundesregierung müsse mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln verhindern, dass die neue Taxonomie in der geplanten Form umgesetzt werde. „Anderenfalls wird die Ampel beim Klimaschutz komplett unglaubwürdig“, sagt die Vorsitzende der Klimaliste Deutschland.
Quellen:
(1)bundestag.de: Regierung kündigt Stellungnahme zur EU-Taxonomie an.
https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-876622
(2)energywatchgroup.org: Erdgas beschleunigt den Klimawandel durch alarmierende Methanemissionen.
https://www.energywatchgroup.org/erdgas-leistet-keinen-beitrag-zum-klimaschutz/
(3)deutschlandfunk.de: EU-Pläne zur Atomkraft – Widerstand gegen Taxonomie-Entwurf der EU – Österreich will klagen
(4)zeit.de: Luxemburg will gegen EU-Einstufung von Kernenergie klagen
(5)germanwatch.org: Offener Brief an die Bundesregierung.
https://www.germanwatch.org/de/84713
(6)ipcc.ch: Changes in Atmospheric Constituents and in Radiative Forcing. Seite 212.
https://www.ipcc.ch/site/assets/uploads/2018/02/ar4-wg1-chapter2-1.pdf
(7)tagesschau.de: Wissenschaftler im Abseits.
https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/eu-taxonomie-101.html
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